Serielles Sanieren
So lassen sich Häuser schnell und sicher energieeffizienter machen
Die vier Mehrparteienhäuser der Wohnungsgenossenschaft hwg im Süden der Ruhrgebietsstadt Hattingen sind typische Bauten der Fünfziger Jahre: eine schlichte Fassade, die Wände gänzlich ungedämmt. Energieeffizienz genoss nicht gerade höchste Priorität in den Nachkriegszeit, als innerhalb weniger Jahre viel günstiger Wohnraum geschaffen werden musste.
Wie andere Wohnungsgenossenschaften und -unternehmen auch hat die hwg zahlreiche solcher Häuser mit hohem Sanierungsbedarf in ihrem Bestand. Sie allesamt energetisch zu modernisieren bedeutet eine gewaltige planerische und finanzielle Herausforderung.
Gute Gründe für die Genossenschaft, bei den vier Mehrparteienhäusern in der Hattinger Goethestraße ein Konzept zu testen, das industrielle Prozesse auf die Sanierung überträgt: Statt wie üblich Dämmplatte für Dämmplatte auf die Fassaden zu setzen, hat ein Partner die Häuser mit einer neuen Gebäudehülle versehen, die in einer Fabrik vorgefertigt wurde – komplett mit hochisolierten Fenstern, einem dicken Wärmedämm-Verbundsystem und einer hübschen Holzverkleidung. Auf das Dach kamen Photovoltaik-Module, in die Heizungskeller Luft-Wasser-Wärmepumpen.
Fertigung in der Fabrik senkt Montageaufwand
Serielles Sanieren heißt diese Vorgehensweise, das Konzept Energiesprong. Der Begriff stammt aus den Niederlanden, wo bereits einige tausend Wohnhäuser nach diesem Prinzip saniert worden sind. Im Zentrum steht dabei die Fertigung standardisierter, aber individuell auf das jeweilige Gebäude zugeschnittener Fassadenelemente samt Wärmedämmung, Fenstern und Belüftungssystem in einer Fabrik. Auch ganze Solardächer sowie Technik-Einheiten mit Wärmepumpe, Strom- und Wärmespeicher und der Photovoltaik-Elektronik lassen sich so vorproduzieren.
Die Fertigung fern der Baustelle gewährleistet eine konstant hohe Qualität der Bauteile und reduziert das Fehlerrisiko bei der Montage. Vor allem aber senkt die Verlagerung wesentlicher Arbeitsschritte in eine Fabrik den Installationsaufwand vor Ort erheblich. So konnten die Handwerker in Hattingen auf diese Weise pro Tag rund 500 Quadratmeter Fassadenfläche sanieren, fast zehnmal mehr als es bei konventionellem Vorgehen möglich gewesen wäre. Energetische Sanierungen werden damit stark vereinfacht und beschleunigt. Die Bewohner können während der Arbeiten in der Regel im Haus bleiben.
Sanierung auf hohen energetischen Standard
Wie geht eine serielle Sanierung vonstatten? Am Beginn steht die exakte Vermessung des Gebäudes mit einem dreidimensionalen Laserscan. Anhand dieser Daten erstellen Experten einen digitalen Zwilling des Hauses. Der dient als Basis für die Sanierungsplanung sowie für den Entwurf und die Produktion der Fassaden- und Solardachelemente in der Fabrik. Auch für den Bau der Energiemodule wird das digitale Modell herangezogen. Die vorgefertigten Elemente werden schließlich zum Haus transportiert und dort installiert.
Das Konzept zielt auf einen anspruchsvollen energetischen Standard: Die Gebäude erfüllen nach der Sanierung in der Regel mindestens die Vorgaben für ein Effizienzhaus 55. Dank großflächiger Photovoltaik-Anlagen erzeugen viele seriell sanierte Häuser im Jahresmittel bilanziell mindestens so viel Strom, wie für Heizung, Warmwasser und Haushaltegeräte benötigt wird.
Riesiges Potenzial vor allem bei Nachkriegsbauten
Nach Angaben der Deutschen Energie-Agentur dena sind bis Ende 2024 bundesweit 110 Gebäude mit insgesamt 2.000 Wohnungen nach dem Energiesprong-Konzept saniert worden. Rund 210 Projekte mit 11.000 Wohnungen seien in Vorbereitung. Das entspreche einem Investitionsvolumen von mehr als einer Milliarde Euro.
Damit ist das Potenzial aber nur zu einem Bruchteil ausgeschöpft: Laut dena eignen sich rund 30 Prozent aller Mehrfamilienhäuser in Deutschland für eine serielle Sanierung – vor allem die in Neubauquartieren errichteten Häuser aus den 50er bis 70er Jahren, die meist eine gleichförmige, schlichte Gestalt aufweisen. Viele von ihnen sind bis heute nicht oder nur in geringem Maße saniert. Die Gebäude einer Siedlung sind häufig im Besitz eines einzigen Wohnungsunternehmens. Das hat den Vorteil, dass die Hersteller für den Eigentümer kostengünstig Bauteile mit gleichen Maßen in großer Stückzahl produzieren können.
Ein- und Zweifamilienhäuser lassen sich grundsätzlich ebenso nach dem Energiesprong-Prinzip sanieren. Allerdings ist der Aufwand bei der 3D-Vermessung und vor allem in der Fabrik bei solch kleinen Gebäuden weit größer, was zu höheren Kosten führt.
Attraktive Förderung für serielles Sanieren
Ohnehin ist die serielle Sanierung auch bei Mehrfamilienhäusern heute nicht zwingend wirtschaftlicher als ein konventionelles Vorgehen, da die Vorfertigung angesichts der bislang relativ wenig realisierten Projekte derzeit noch recht teuer ist. Je mehr Gebäude jedoch seriell saniert werden, desto stärker treten Skaleneffekte auf, die zu niedrigeren Kosten bei Fassaden- und Solardachelementen sowie den Energiemodulen führen dürften. Zudem lohnt es sich für Bauunternehmen bei größerer Nachfrage, neue Prozesse und Lösungen für serielles Sanieren zu entwickeln, um so die Kosten weiter zu reduzieren.
Um den Markt in Schwung zu bringen, hat der Bund eine attraktive Förderung für das serielle Sanieren aufgelegt. So erhalten Eigentümer von Wohnhäusern im Rahmen der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) zusätzlich zu den üblichen, für die Sanierung auf Effizienzhaus-Niveau gewährten Zuschüssen einen Bonus von 15 Prozent der förderfähigen Kosten, wenn sie sich für dieses Ansatz entscheiden. Der Bonus wird in Form eines Tilgungszuschusses zu einem zinsgünstigen KfW-Kredit ausgezahlt.
Die hwg zeigt sich zufrieden mit dem Energiesprong-Konzept. Sie hat deshalb Ende letzten Jahres ein zweites Projekt dieser Art gestartet. „Das serielle Sanieren ist eine Chance für die gesamte Wohnungswirtschaft“, ist hwg-Vorstand David Wilde überzeugt. „Um die Klimaziele zu erreichen, brauchen wir disruptive Konzepte, die die energetische Modernisierung schneller, effizienter und industrieller machen.“
Autor: Ralph Diermann